Erinnerungen an Schwiegermutter
- Manfred Kruse
- 13. Feb. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Auszug (teilweise anonymisiert) aus meinem nachstehend selbst verfassten Buch (Kapitel 4.16 Erinnerungen an meine Schwiegermutter) -1970/80er Jahre-:
"Chronik meiner Großeltern, Eltern, meiner Kindheit und Jugend sowie meiner eigenen Familie" ( © 2008)
Meine Schwiegermutter Hildegard ist am 1996 an Krebs verstorben. Ich habe meine Schwiegermutter Hildegard 26 Jahre lang gekannt, so dass ich mich sehr genau an ihre Wesensart und an ihr Äußeres erinnern kann. Hildegard war ein sehr warmherziger, gläubiger und hilfsbereiter Mensch. Ihre Hilfsbereitschaft ging sogar bis zum Verzicht auf einen eigenen persönlichen Freiraum für sich allein.
Sie hatte dadurch nicht gelernt, ihre eigene Persönlichkeit voll zu entfalten und ihre individuellen Fähigkeiten und Talente zu entwickeln. So wie ihr, erging es vielen Frauen ihrer Generation. Hildegard hatte für sich selber nur ihren Glauben an Gott als gläubige Christin, der ihr die Kraft gab, in schwierigen Stunden im Leben nicht zu verzagen. Hildegard hatte es in ihrem Leben nicht leicht gehabt. Sie hat 3 Kinder großgezogen und musste neben ihrem Mann noch zwei alte Leute in ihrem Haushalt versorgen, und zwar Tante Anna und Opa Franz.
Wenn mein Schwiegervater Richard im Wohnzimmer Fernsehen geschaut hat, hat Hildegard noch in der Küche gearbeitet. Hildegard hat nur wenig TV geschaut und in ihrer knapp bemessenen Freizeit in der Küche Zeitschriften gelesen. Hildegard war voll für ihre Familie da, damit meine ich auch die Großfamilie einschließlich ihrer Enkelkinder. Unsere Söhne waren ihr ganzer Stolz, und sie hat sich viel um die beiden gekümmert, wenn Renate und ich mit unseren Kindern bei ihr zu Besuch waren.
Ich habe in den 26 Jahren mit meiner Schwiegermutter kein einziges Gespräch geführt, was länger als 5 Minuten gedauert hat. Hildegard vertrat keine eigene Meinung sondern es ging immer nur um versorgungstechnische Dinge. Es war nicht ihre Sache, Reden zu halten. Sie war lieber schweigsam, opferbereit und unterwürfig. Statt zu reden, hat sie zugepackt, wo Arbeit war. Neben ihrer Hausarbeit hatte sie auch noch das Gemüse und das Obst aus ihrem Garten, den Richard bewirtschaftete, zuzubereiten. Sie hat selber Marmelade hergestellt und Obst in Einmachgläser (Weckgläser) eingemacht. Diese damals gebräuchlichen Tätigkeiten waren sehr zeitraubend und arbeitsintensiv.
Das Wäschewaschen erledigte sie mit einer alten, in die Jahre gekommenen Waschmaschine und einer separaten Wäscheschleuder. Sie war sehr altmodisch, genau wie Richard, und hat z.B. den Kaffee immer mit der Handkaffeemühle manuell gemahlen und anschließend von Hand gefiltert, als es schon längst elektrische Kaffeemühlen bzw. Kaffeemaschinen gab. Das neue Fahrrad, was sie zum 60sten Geburtstag geschenkt bekam, hat sie nie benutzt sondern immer ihr altes Rad genommen. Hildegard hat noch ihre Kleidung geflickt und gestopft, wenn diese Löcher aufwiesen. Bei dieser Lebenseinstellung, das Geld war ja auch knapp, hatte Hildegard ein hartes Leben zu führen.
Als Hildegard 1996 an Krebs erkrankte, hat Renate sie zweimal allein besucht. Unsere Söhne mussten zur Schule, und ich bin daher bei ihnen zu Hause geblieben. Renate ist jeweils für eine Woche bei ihrer Mutter geblieben. Hildegard hat die letzten Monate ihres Lebens viel gelegen im Bett oder auf dem Sofa. Sie bekam Bestrahlung, was sie schlecht vertrug. Nach dem Essen musste sie sich oft übergeben, so dass sie keine Nahrung bei sich behalten konnte. Zum Schluss konnte Hildegard nicht mehr laufen sondern ist hinter einem Hocker auf den Knien hinterher gekrochen. Ihr Körper war vom Tod gezeichnet, aber ihr Geist war noch nicht bereit, zu sterben.
Sie erzählte ihren Angehörigen, dass sie noch Pläne habe und gerne reisen möchte. Dabei war sie ihr ganzes Leben äußerst selten und dann nur ungern gereist. Kurz bevor Hildegard zum Pflegefall wurde und ein professioneller Pflegedienst beauftragt werden musste, kam Hildegard erneut ins hiesige Krankenhaus, wo sie dann 1996 an ihrer Krebserkrankung verstorben ist.
Kurz darauf war die Beerdigung, zu der Renate und ich mit unseren Söhnen angereist waren. Als wir in Renates Elternhaus ankamen, war Hildegard nicht mehr da. Ein Umstand, der uns alle vier stark verunsicherte. Ich persönlich wartete darauf, dass Hildegard jeden Moment zur Tür hereinkommt. Überall fanden wir Kleidungsstücke von ihr und Haushaltsgeräte, die sie benutzt hatte. Ich sah Hildegard auch im Geiste herumlaufen und ihre Hausarbeit verrichten.Wir hatten zwar von ihrem Tod erfahren, aber unser Kopf konnte es nicht nachvollziehen.
Wir konnten am Vorabend der Beerdigung noch Abschied nehmen von Hildegard, die in der Friedhofskapelle aufgebahrt lag, und uns davon überzeugen, dass sie tatsächlich tot war. Hildegard`s Leiche sah aus wie eine Puppe, sie war ja schon 4 Tage tot. Die Trauerfeier fand im Andachtsraum des Krankenhauses statt. Es war eine große Beerdigung mit vielen Trauergästen. Anschließend war die Erdbestattung auf dem Friedhof. Bei dem Leichenschmaus war die Verwandtschaft aus der ehemaligen DDR auch dabei. Dieser traurige Anlass war die Gelegenheit, alle Verwandte wieder zu sehen.
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